Ein streng aussehender Mann im schwarzen Anzug öffnete ihm die Türe und deutete auf den dritten Platz in der fünften Reihe, neben einer älteren Dame im purpurnen Chemisenkleid, er schätzte sie um die sechzig. „Guten Abend meine Dame, welch befremdlicher Anlass um eine Bekanntschaft zu machen.“ Die Frau schaute weiterhin geradlinig zum Pult als schien sie ihn nicht gehört zu haben. Er nickte, ließ sich auf den ihm zugewiesenen Platz nieder und strich seine graue Sakkohose zu Recht. „Für 16 Pfund 53 haben Sie die Wahl eines von zwei unserer renommiertesten Stücke zu erwerben.“ Er griff in seine linke Hosentasche und zog zwei Scheine und ein paar Münzen heraus. Zehn Pfund, Fünfzehn Pfund und ein Pfund, fünfzig Penny, drei Penny. 16 Pfund 53, ganz genau. „Zum einem haben wir hier den Virtuosen Joseph H. und zum anderen diese wundervolle Auster.“ Sein Blick fiel sofort auf den Herrn H., der so voller Farbe und Leben schien. Ein Blitz ging durch Josephs grüne Augen, sodass er jäh erschrak und erstmals den Mann hinter ihm bemerkte, der seine Hand auf Joseph gelegt hatte, als wäre dieser sein ganzer und einziger Stolz. „Joseph H. wird Ihnen angeboten von Händler N. und sein werter Kollege Händler E. vertritt die Auster.“ Händler E. hatte seinen rechten Arm ausgestreckt und wenn man sich bemühte, konnte man etwas Gräuliches in seiner Handfläche erkennen. Obwohl der Scheinwerfer mit all seiner Leuchtkraft auf die Auster gerichtet war, schien sie nicht viel der Strahlung zu reflektieren und machte eher einen unscheinbaren Eindruck. „Was soll ich mit so einer öden Auster, wenn ich auch den dynamischen Joseph H. haben kann“, fragte er sich. Er hob den linken Arm hoch. „Aber warten Sie doch“, sagte der Sprecher empört. „Sie haben die Händler N. und E. ja noch gar nicht angehört.“ Peinlich berührt senkte er seinen Arm wieder und horchte. Händler N. erhielt zuerst das Wort. „Hier sehen Sie den Joseph H., einen zu Lebzeiten wie nach seinem Ableben hochgeschätzten und weit verehrten Virtuosen erster Klasse. Seine Affinität zu den hohen Künsten eröffnet ihm ferne Welten, von denen andere nicht zu träumen wagen. Wen seine Kunst berührt, den ergreifen die Emotionen, Alt und Jung weinen gleichsam vor Freude über dieses Wunder der Schöpfung. Die Gebrochenen berichten wie die Noten, aus seiner Feder geflossen und durch seine Finger das Leben geschenkt, ihre Risse wieder geglättet haben.“ Der finstere Blick des Sprechers hielt ihn davon ab, erneut seine Hand zu erheben. „Aber so wie er Episoden der pursten Ekstase erlebt, so erreicht sein Gemüt auch die tiefsten Tiefen. Der Ruhm wird ihm zu viel, im Rummel der Menschen und der Kunstliebhaber verliert er mal sich selbst und mühsam muss er sich den Weg zurück bahnen, steht vor vielen schwierigen Entscheidungen, muss einiges am Weg zurücklassen und viele Schritte rückwärts machen. Er ist nicht ganz zufrieden, nie ist es gut genug.“ Er war schockiert. So ein Leben klang doch nach der reinsten Qual. Jetzt war er froh, dass der Sprecher ihn vor einer vorschnellen Entscheidung bewahrt hatte, die er womöglich sein ganzes Leben hätte bereuen müssen. „Und hier haben Sie die Auster“, ergriff nun der Händler E. das Wort. „Ihr Leben ist ein eintöniges aber zufriedenes. Auch wenn sie nie in den Höhen fliegt, in denen sich Joseph H. zuweilen aufhält, so bleibt sie auch dem Abgrund weit fern.“ Er wartete, aber es kam nichts mehr. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. „Was können Sie mir noch über die Auster sagen?“, wollte er interessiert wissen. Händler E. war ein wenig perplex. „Nun, es handelt sich hier um eine Auster, da gibt es nicht so viel zum Erzählen.“ „Aber was macht sie den ganzen Tag?“ „Sie liegt da und umgeht das Leid der Welt.“ „Ja, aber was macht sie wirklich? Was können Sie mir über sie erzählen?“ „Sie liegt da und macht nichts. Sie ist eine Auster.“ „Aber was können Sie mir über sie erzählen ???“ Er wartete lange auf eine Antwort, aber Händler E. schien alles gesagt zu haben, das er hatte sagen können. „Aber sie ist niemals unglücklich“, versuchte er es müde ein letztes Mal. Aber er war schon dem Händler N. zugewandt und hatte auch an ihn eine Frage. „Und was passiert am Ende? Findet Joseph H. am Ende wieder zu sich zurück?“ Der Händler N. lächelte. „Ja, in den letzten Minuten seines Lebens findet er zu sich zurück.“ Er wirkte zufrieden. „Aber wieso ist das so wichtig?“, wollte Händler E. nun wissen. „Wen interessieren die letzten paar Minuten, wenn sein Leben von so viel Kummer geprägt ist?“ „Er findet zu sich, ja?“, wollte er noch einmal wissen. Händler N. nickte. Dann hatte er alles, das er brauchte. „Ich nehme Joseph H.“, sagte er. Händler E. war so entsetzt, dass ihm der Mund offen stehenblieb. Aber Händler N. schien den Ausgang schon haben kommen sehen und schmunzelte. „Ich gewinne immer.“
geschrieben am 30.08.2019
photo by Bill Oxford via Unsplash
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