Es war einmal ein Affe, der hieß Bobo. Als Bobo noch ein kleiner Bonobo war, da hatte er oft Schwierigkeiten, das Verhalten seiner Mitaffen zu verstehen. Er wollte partout nicht einsehen, dass es zu seiner Pflicht als guter Bonobo gehörte, das Fell seiner Schwester Boba nach lästigen Insekten zu durchsuchen. Genauso wenig war es für ihn selbstverständlich, dass wenn seine starken Bonobobeine sich mit größter Mühe an die Spitze des Bananenbaums gekämpft hatten um die schönste aller Früchte zu ernten, er sie plötzlich mit all seinen Geschwistern teilen sollte. Bonobomama und Bonobopapa predigten stets, wie wichtig die Tugend des Teilens und des Zusammenhalts für ein harmonisches Miteinander war, aber Bobo hielt nicht viel vom Predigen und wenn überhaupt, bestärkten die ständigen Überredungsaktionen seiner Mitaffen ihn eher in der Überzeugung, dass sie alle nur nach irgendwelchen arbiträren Regeln lebten, die für ihn nicht zu gelten hatten, weil er sich weigerte, sie als die seinigen zu betrachten. Aber auch Bobo wurde älter und die anderen Affen ihrer Überredungsaktionen müde und er fühlte sich mehr und mehr in der Schuld seiner Affenfreunde stehen. Schuld war vielleicht das falsche Wort, weil es schien nicht, als befinde es sich mit dem Altruismus seiner Freunde wie mit einem Tauschgeschäft, es war mehr wie eine Spendenveranstaltung, bei der er der alleinige Gewinner zu seien schien. Und genau dieses Geben ohne Erwartung auf Gegenleistung war es, das ihn dazu bewegte, immer und immer mehr zu einem guten Bonobo zu werden. Seine Wertschätzung für die Kunst des Gebens stieg stetig an und er war überfreudig über seine eigene Entwicklung zu einem guten Bonobo, ja das Geben löste ihn ihm tatsächlich die stärksten Glücksgefühle aus. Nicht, weil er sich blind irgendwelchen gesellschaftlichen Regeln unterwarf, sondern weil er in seiner ganzen wachen Vollmacht sich dazu entschlossen hatte, den Bonobos, die er doch so gern hatte, eine Freude zu tun. So wie er das sah, gab es nur Vorteilen im Geben. So war es ihm zum Beispiel immer lästig, sein eigenes Fell nach Ungeziefer zu untersuchen, es schien ihm eine zwar leider nötige, aber auch ungemein langweilige Tätigkeit. Wenn es aber Boba am Rücke kratzte, eilte er gerne zur Stelle, denn das öde Fellabsuchen gewann momentan an Wichtigkeit, wenn es für jemand anderen gemacht werden sollte. Denn anstatt dem Erledigen einer faden Notwendigkeit, wurde es zu einer Möglichkeit zu Geben und Freude zu schenken. Und Boba, die über die Bereitwilligkeit ihres Bruders hocherfreut war, gedachte, demnächst auch in diesen Genuss des Gebens zu kommen. Und nicht nur das, Boba hatte auch keine Schwierigkeiten zu den Stellen an Bobos Rücken zu gelangen, die für ihn besonders schwer erreichbar waren. So war Bobo letzten Endes doch noch ein richtiger Bonobo geworden und konnte über seine anfänglichen Startschwierigkeiten nur mehr müde lächeln.
Doch dann kam es eines Tages, dass Bobo den Bonobos den Rücken zukehren musste. Er hatte lang genug unter ihrem Schutz gestanden und wollte nun auf eigenen Beinen stehen und entdecken, was die große weite Welt alles für ihn bereithielt. Das erste, das er lernen musste, war, dass nicht jeder ein Bonobo war. Klar, es gab dutzende andere Affenarten, das war ihm bewusst, hatte die Baumschule ihm doch eine umfangreiche Bildung zukommen lassen. Aber manche von ihnen waren im Herzen trotzdem Bonobo. So wie die Gorillas zum Beispiel. Die Gorillas verstanden sich in der Fellpflege und wussten die liebevollen Gesten des Bobos zu schätzen, ja erwiderten diese mit ähnlicher Euphorie. In ihnen hatte Bobo schnell enge Freunde gefunden. Aber dann gab es andere, so wie den Orang-Utan Otis, dessen Verhalten dem Bobo auch nach langem Beisammensein noch als äußerst rätselhaft erschien. Er sprang nicht ruckartig auf, wenn Bobo über ein Jucken in der Schultergegend klagte, ja sogar, wenn er explizit um den Gefallen einer kleinen Fellinspektion bat, befand Otis des Öfteren, dass er anderweitigen, scheinbar wichtigeren Tätigkeiten nachzugehen hatte. Für Bobo war das ein absolutes Skandal, nicht zuletzt, weil er dem Ungeziefer in Otis Fell kein langes Wochenende Frieden gönnte. Oftmals unternahm er den Versuch Otis in dem Sozialkodex der Affen zu weisen, aber der schien nicht zu verstehen. Anfangs frustrierte Bobo das zutiefst, hatte er doch zu Beginn so viel Hoffnung in seinen affigen Gefährten gesteckt, aber irgendwann musste er einsehen, dass alle Mühen vergebens waren und sah nur mehr abfällig auf den Primaten herab, der wohl nie lernen würde, was es bedeutete, ein richtiger Affe zu sein.
Dann, eines Winters, hatte ein besonders eisiger Frost das Land befallen und die Affen mussten sich schweren Herzen eingestehen, dass sie, wenn sie hier blieben, wohl nicht ausreichend Nahrung finden und eines grausamen Hungertodes sterben würden. Panik machte sich breit im ganzen Affenvolk, der Wunsch ums Überleben war groß, aber die Affen waren wie gelähmt vor Angst. Aber einer, den schien das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes kalt zu lassen. Eigentlich hätte Bobo sich denken müssen, dass jemand mit einem so fehlerhaften Sozialverhalten wohl auch nicht die saftigste Banane am Baum war, aber so ein bisschen Affenverstand hätte er seinem Freund schon gewünscht. „Ich weiß nicht, wieso ihr alle so einen Aufstand macht, kommt doch einfach zu mir, da ist’s immer warm“, meinte Otis schulterzuckend. Empörung machte sich breit im Affenvolk. Alles hier zurücklassen und zu den Organ-Utans wandern, diesen sozialen Hinterwäldlern, die wahrscheinlich alle so wenig von einem harmonischen Zusammenleben verstanden wie Otis? „Eure Entscheidung, das Angebot steht und wenn ihr nicht ganz verblödet seid und noch das nächste Jahr erleben wollt, dann würde ich euch eine starke Empfehlung aussprechen.“ Da war die Angst vor dem Tod doch etwas größer als die Angst vor den sozial Retardierten und so machte sich das ganze Affenvolk auf gen Süden um bei den Orang-Utans Zuflucht zu suchen. Bobo, wenn auch dankbar über die erfreuliche Nachricht seines weiteren Bestehenbleibens und das seiner geliebten Mitaffen, war mehr als nur ein bisschen skeptisch. Er erwartete nahezu apokalyptische Zustände bei den Orang-Utans, stinkendes und juckendes Fell und erbitterte Kämpfe um Futter und Land. Umso erstaunter war er also, als er nichts von alledem vorfand. Wohl waren Orang-Utans keine Bonobos, so viel war schnell klar, aber sie waren auch keine Unaffen. Sie gerieten unwahrscheinlich selten aneinander, gingen sich eher aus dem Weg und wenn doch mal einer ein etwas aggressiveres Verhalten an den Tag legte, steckten es die anderen Affen meist leichtfertig weg. Bobo war begeistert, auch ein wenig eingeschüchtert. Nichts von dem, was er sah, weckte in ihm das Bedürfnis sein Sozialverhalten schlagartig zu ändern und zum Orang-Utantum zu konvertieren, er würde die Nähe zu seinen Lieblingsaffen und die nächtlichen Kraulaktionen viel zu sehr missen, auch sah er persönlich keinen Vorteil in einer solchen Lebensweise, aber so als Gemeinschaft, in sich geschlossen, schien sie doch irgendwie zu funktionieren. Das machte ihn wohl doch stutzig und er fragte sich, wie Bobo der Orang-Utan wohl so gewesen wäre, wahrscheinlich ein gutes Stück mehr so wie Otis, der Orang-Utan.
verfasst am 08.05.2020
picture credits by Andre Muoton via Unsplash
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