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Gefallen

Geduldig und auch still in sich hinein schmunzelnd lauschte Damara den Sorgen ihrer Enkelin, die ganz aufgebracht über die Wiese vor ihrem Haus lief und dabei immer wieder den Kopf von einer Seite auf die andere warf um den Ernst der Dinge zu verdeutlichen. Sie hatte sich mit ihrem engsten Freund Paul zerstritten und brachte nun unter größter Anstrengung alle möglichen Gründe vor, weshalb er es sowieso nie wert gewesen war. „So ein Blödmann! So ein verdammtes Arschloch!“, schrie sie immer wieder. Als es so schien als hatte sie ihrem Ärger nun erstmal ausreichend Luft gemacht, kniete Damara sich hin und nahm ihre Enkelin in die Arme. „Das tut mir leid, dass es mit dir und Paul so blöd gekommen ist“, sagte sie mit aufrichtiger Anteilnahme. Als sie sich wieder aus der Umarmung löste, fiel der Blick der Enkelin auf eine kleine Narbe am Knie ihrer Oma. Es wunderte sie ein wenig, dass ihr dieses kleine Detail so viele Jahre entgangen war, aber womöglich lag das daran, dass Damara selten kurze Hosen oder Röcke trug bei denen sie so freien Blick auf ihre Beine gehabt hätte. „Omi, was hast du da für eine Narbe?“, wollte sie wissen und deutete auf Damaras linkes Knie. „Ah die“, sagte sie schmunzelnd. „Warte ich zeigs dir.“ Sie stand auf, nahm ihre Enkelin bei der Hand und führte sie über die Wiese, in Richtung des Birnbaums, der dort gefühlt schon immer gestanden hatte. Aber der Birnbaum selbst war nicht das Objekt ihres Interesses, Damaras Zeigefinger deutete auf den Boden. „Siehst du die kleine Grube hier? Hier bin ich einmal reingetreten, als ich beim Spielen über die Wiese gelaufen bin und dann hingefallen. Ich muss ziemlich hart gefallen sein, denn ich erinnere mich nicht mehr daran, wie es passiert ist oder was genau danach war, ich muss kurze Zeit das Bewusstsein verloren haben. Unsere Nachbarskatze Hermi war es, die mich gefunden und Hilfe geholt hat. Durch ihr Miauen bin ich überhaupt erst aufgewacht, jedenfalls glaube ich, dass es so war, das ist alles schon so lange her.“ Bei dem Gedanken musste Damara lächeln. „Das hat ja sicher voll wehgetan. Also hast du dann mehr aufgepasst, dass du nicht wieder hinfällst?“, wollte ihre Enkelin wissen. Damara schüttelte den Kopf, noch immer lächelnd. „Nein, dafür hab ich viel zu gerne gespielt, wir haben so viel Spaß gehabt damals, da ist es schon ok, wenn man sich ab und zu ein bisschen weh tut.“ „Also ist dir sowas öfter passiert?“ „Nicht so oft, aber wenn, dann meistens schon ein bisschen doller. Als ich einmal mit deinem Opa im Park war, da hat’s mich ordentlich hingelegt. Ich hatte nur Augen für ihn und da ist mir gar nicht der fette Baumstamm direkt vor meinen Füßen aufgefallen bis ich schon der Quere nach am Boden lag. Das tat schon weh. Aber seitdem bin ich vorsichtiger.“ Wieder dachte sie an die alten Zeiten zurück, als sie im Park spielend in Gruben und über Baumstämme fallend ihr Leben genossen hatte. „Ja, das waren gute Zeiten, wir haben so viel gelacht, ich glaub, das hätte dir auch gefallen.“



verfasst am 19.05.2020 als dritter und letzter Teil der #Fallend Reihe


Bild: Leo Chane via Unsplash


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