Karl war erwachsen und er war Autofahrer. Beim Autofahren kam es schon mal vor, dass seine Aufmerksamkeit nicht voll auf die Straße und die dort von statten gehenden Vorgänge, inklusive etwaiger Passanten, konzentriert war. Er hatte nun einmal andere Verpflichtungen und Vorstellungen der Freizeitgestaltung, die vom Autofahren nicht verhindert werden sollten. So hörte er oft lautstark Musik und legte dabei mehr Wert auf die Qualität seiner choreografischen Einlagen als das Bewahren des physischen Kontakts von Händen zu Lenkrad oder lauschte Podcasts, die seine Gedanken gerne über die Fahrbahn hinweg in ganz andere Welten zerrten. Aber das alles stellte kein Problem dar, denn er hatte, soweit er informiert war, sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen. Er sollte weiterhin sein bevorzugtes Fahrverhalten beibehalten, wenn doch niemand aufgebracht hupend auf seine Missgunst aufmerksam machte.
Am Weg zur Arbeit legte Karl eine kurze Pause auf seiner Lieblingstankstelle ein um den Tank seiner Ludenschleuder mit Benzin und den eigenen mit dem neuesten Klatsch und Tratsch der Gegend zu befüllen. Den Besitzer Wolfgang, kurz Wolfi, kannte Karl durch seine regelmäßigen Besuche schon lange und stufte ihn als zuverlässige Nachrichtenquelle ein. An diesem Morgen kam der bärtige Wiener aber nicht mit dem Tagesblatt, sondern einem zerstruppelten Federvieh in der Hand anmarschiert. „Heast schau, wos I do gfundn hob“, sagte er und zeigte auf das Ding in seiner Hand. „Dea is auf da Foahbohn glegn, schaut no voi frisch aus, des kau no net a so long hea gwesn sei, dass den irgend a Voitrottl üwan Haufn gfiaht hot. So a Sauerei.“ Traurig betrachtete Karl den toten Vogel, der ihm da vor die Nase gehalten wurde. Die armen Tiere hatten wirklich keine Schuld an der komplett aus dem Ruder geratenden Autowirtschaft. Gemeinsam begruben sie das Tier und hofften, dass ihm kein Weiteres folgen würde.
Zeit, die anderen Geschehnisse des gestrigen Tages zu besprechen, hatten sie nicht und so nahm Karl seine Nachrichten nun im handlichen Papierformat zum Mitnehmen. Es dauerte bis zur Mittagspause, dass er endlich die Zeit fand, sich dem Konsumieren dieser anzunehmen. Es stellte sich heraus, dass der arme Vogel nicht das einzige Wesen gewesen war, das an jenem Tag vollkommen unverdient körperlichen Schaden genommen hatte. Nicht weit von hier war ein kleines Kind von einem Gerät angefahren worden, bei dem es sich laut Angaben der 6-Jährigen höchstwahrscheinlich um einen weißen Mercedes Benz 500SEC handelte. Der Fahrer hatte Fahrerflucht begangen, Zeugen gab es keine. Geschätzt fünf Minuten dauerte es bis jemand das weinende Mädchen bemerkte und sofort eine Rettung rief, die kleine Nina war noch immer in Untersuchung, schwebte aber nicht mehr in Lebensgefahr. Jedenfalls war das der Stand des vergangenen Abends. Karl schüttelte den Kopf. Bei so viel Leid brauchte er erst einmal eine starke Tasse Kaffee.
entstanden am 16.08.2019
ein Dankeschön geht raus an Christoph Eisenköbl für die Hilfe beim Dialekt ;)
Bild von Chris Slupski über Unsplash
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